1922 hörte Ravel die junge ungarische Virtuosin und Nichte Joseph Joachims, Jelly D’Aranyi, in einem Konzert in London. Nach der Aufführung verbrachte Ravel den Rest des Abends damit, D’Aranyi zahllose Zigeunermelodien auf ihrer Geige spielen zu lassen, wobei er sie bat, die technischen Grenzen des Instruments auszuloten. Das Ergebnis dieser Begegnung ist Ravels virtuoser Klassiker „Tzigane“.

In der ursprünglichen Besetzung für Violine und Klavier bzw. Luthéal (einem Mechanismus, der 1919 erfunden und in einen Flügel eingesetzt werden konnte und einen dem Cimbalon ähnlichen Klang erzeugte) wurde „Tzigane“ im April 1924 in London uraufgeführt, nachdem der Komponist das Werk erst Tage zuvor vollendet hatte. Später orchestrierte Ravel das Stück, und beide Fassungen gehören bis heute zum Standardrepertoire. Jelly D’Aranyi sollte das Werk in beiden Fassungen viele Male im Laufe ihrer langen Karriere spielen.

Die vorliegende Urtext-Ausgabe stellt die erste wissenschaftlich-kritische Edition von Ravels Meisterwerk dar und erscheint in der Orchesterfassung mit vollständigem Aufführungsmaterial sowie auch in der früheren Fassung des Komponisten für Violine und Klavier.
Alle überlieferten Quellen, einschließlich verschiedener Briefe, wurden für diese Edition herangezogen; dazu gehört zum ersten Mal auch ein Exemplar von „Tzigane“ aus dem Nachlass Jelly D’Aranyis, das sich heute in einer privaten Sammlung befindet.

Die Fassung für Klavier und Violine enthält neben der Urtext-Violinstimme ein farbiges Faksimile von D’Aranyis persönlicher Violinstimme der Erstausgabe, die sie im Unterricht mit ihrer Nichte benutzte.
Dieses Faksimile bietet aufschlussreiche Aufführungshinweise von D’Aranyi, die widerspiegeln, wie Ravel das Werk in Proben und Aufführungen gehört haben muss, und sind Zeugnis von Aufführungspraxis im frühen 20. Jahrhundert. Die Zusammenarbeit von D’Aranyi und Ravel ist durchaus mit der von Joachim und Brahms in Bezug auf dessen Violinkonzert zu vergleichen.