Das Mittelalter gilt oft als körperfeindlich. Daher scheint es nur konsequent, wenn auch die Musiktheorie jener Zeit zunächst alles Körperliche abwertet. Andererseits aber hat der Begriff „Musica“ im Mittelalter eine weitere Bedeutung als in der Neuzeit. Er umfasst nicht nur Hörbares, sondern auch Sicht- und Fühlbares, d. h. Gesten, Tanzschritte und andere Körperbewegungen. Außerdem werden zentrale Gegenstände der Musiktheorie mit Hilfe des Körpers memoriert oder sogar als Körper bezeichnet, wie etwa Noten, Stimmen, Tonarten und Gesänge. Achim Diehr zeigt anhand zahlreicher Quellen aus 1000 Jahren (vom 4. bis zum 14. Jahrhundert), dass die unterschiedlichen Zuordnungen von Musik und Körper durchaus nicht immer metaphorischen Charakter besaßen, sondern mitunter tatsächlich eine Gleichsetzung meinten.