„In solcher Weise jubilieren sie, dass durch diesen Klang der Affekt der Seele angezeigt werde, die durch Worte nicht auszudrücken vermag, was im Herzen empfangen wurde.“
(Augustinus)

Musik als Ausdruck des „unaussprechlichen“ Gefühls, als Klang gewordene Leidenschaft – das ist eine Idee, deren Ursprung gewöhnlich in der Empfindsamkeitskultur des 18. Jahrhunderts gesucht wird. Wolfgang Fuhrmann zeigt, dass diese Idee eine lange Vorgeschichte hat: Von den Kirchenvätern durch die mittelalterlichen Jahrhunderte bis in den Pietismus haben christliche Autoren über Innerlichkeit, Affekt und Gesang im Gottesdienst Überlegungen angestellt. Die Forderung, man solle mit dem Herzen (als Metapher der Innerlichkeit) und der Stimme (als Ausdrucks-Organ) zugleich singen, ist stets aufs Neue bedacht worden. Die Spannungen zwischen „objektiver“ Liturgie und „subjektiver“ Existenz, zwischen asketischer Verinnerlichung und dem Reiz stimmlicher Schönheit, zwischen bußfertiger Zerknirschung und mystischem Außer-sich-Sein prägen eine andere, eine neue Geschichte, mittelalterlicher Musikanschauung. Sie wird hier erstmals erzählt.